6. Das Symptom erforschen

„Und Euer Leib ist die Harfe Eurer Seele, und es steht bei Euch, daraus süße Laute zu locken, oder nur verworrenes Geräusch.“ (Kahlil Gibran)

Zusammenfassung der Kernaussagen dieses Artikels:

Ein Körpersymptom wird mit einem ungeöffneten Paket verglichen, das von einem selbst gepackt wurde und auch selbst wieder entpackt werden kann. Die Wirkmächtigkeit der sogar auf der körperlichen Ebene gegebenen Gleichzeitigkeit verschiedener Zeitebenen (hier: Vergangenheit und Gegenwart) wird diskutiert. Die Objektivität äußerer Fakten wird stark relativiert; stattdessen beschreibe ich im Einklang mit wissenschaftlichen Erkenntnissen der Wahrnehmungs- und Hirnforschung unsere jeweilige Weltsicht in jedem gegebenen Moment als eine individuelle schöpferische Konstruktion. Anhand eines Fragebogens können verschiedene Ebenen eines Symptoms – Elemente der Situation, die Ebene der vitalen Energie, eine körperlich-physiologische Ebene, eine emotionale Ebene, eine kognitiv-mentale Ebene und (eventuell) eine geistig/spirituelle Ebene, die Ebene des Verhaltens – unterschieden und erforscht werden. Mit Hilfe eines konkreten Beispiels werden diese Ebenen illustriert und detailliert beschrieben. Es wird erneut auf den Fragebogen zur Erkundung des Symptoms verwiesen.

C.G. Jung hat den nächtlichen Traum einmal verglichen mit einem ungeöffneten Brief an sich selbst. Unsere (funktionellen) Symptome lassen sich vergleichen mit Postpaketen, die wir selbst allmählich und unbewusst gepackt und geschnürt haben und deren genaue Inhalte wir vergessen haben. In einem ersten Schritt öffnen wir nun gleichsam das Paket und erforschen das Symptom. Wir lernen die Ökologie des Symptoms, seine auslösenden Bedingungen und seine inneren Begleiterscheinungen kennen, um so mehr über das Symptom zu erfahren.

Es ist in jedem Falle sinnvoll, Informationen zu sammeln, damit wir besser verstehen lernen, in welchem situativen Zusammenhang unsere Symptome auftreten. Wir können unsere Angstgefühle, unsere depressiv anmutenden Gefühle der Niedergeschlagenheit und Energielosigkeit, unsere immer wieder mal plötzlich aufwallenden Wut- oder Trauergefühle erforschen oder auch ein körperliches Unbehagen (einen Schmerz, ein Unwohlsein, eine Verkrampfung, Anspannung und ähnliches) genauer untersuchen. Genauso können wir unsere automatischen und wie zwanghaft ablaufenden Verhaltensweisen erforschen, die uns oder andere irritieren. Im Übrigen ist es genau dann sinnvoll, diese Erforschung durchzuführen, wenn wir den Gedanken haben, dass das Symptom ein Feind ist, den es zu bekämpfen gilt. Denn je besser wir einen vermeintlichen Feind kennen, desto leichter ist es, den Feind zu schlagen. Bei der Erforschung erkunden wir all die Aspekte, die dazu gehören könnten: Wir schauen zunächst auf Elemente der Situation, in der unsere Symptome vorzugsweise auftreten. Wir fragen uns, in welchem energetischen Zustand wir uns befunden haben. Wir erkunden, welche Körperempfindungen dazu gehören. Wir erforschen, von welchen Gefühle und Gedanken – eventuell auch auf einer spirituellen Ebene – das Symptom begleitet wird. Und wir legen uns Rechenschaft darüber ab, wie wir uns verhalten haben. (Falls Sie sofort mit der Arbeit begonnen wollen: Hier geht es zum ‚Fragebogen zur Erkundung des Symptoms“.)

Zentral bei dieser Erforschung ist der Gedanke, dass es niemals das Phänomen selbst ist, das unsere Reaktion darauf verursacht. Nietzsche hat diese wesentliche Einsicht über die Schwierigkeiten einer objektiven Weltsicht so formuliert: „Es gibt keine Tatsachen; es gibt nur Interpretationen“. Ein Beispiel. Einer meiner Patienten, nennen wir ihn Franz, spürt des Öfteren Bachschmerzen. Franz erzählt nun von einer Situation, in der er die Schmerzen häufiger spürt: „Wenn mein Chef an meiner Arbeitsstelle die Stirne runzelt (Situationselement), wird mir ganz mulmig zumute und etwas in meinem Bauch verkrampft sich (körperliche Ebene). Stirnrunzeln des Chefs bedeutet für mich, dass er sehr unzufrieden mit mir ist und dass er mir gleich sagen wird, was für eine unfähige Null ich bin (kognitive Ebene, mehr oder minder bewusst). Und weil er der Chef ist und nun mal die Macht hat, traue ich mich nicht, mich zu wehren (Kognitive Ebene: Der Gedanke der Macht des Chefs und der eigenen Ohnmacht befeuert die emotionale Ebene, die hier als Erleben von Angst erscheint). Und wenn ich schlecht geschlafen habe und müde bin, habe ich gar keine Kraft, wenigstens innerlich dagegen zu halten (Energetische Ebene). Was bin ich nur für ein Schwächling! (Kognitive Ebene: Selbstverurteilung; emotionale Ebene: Selbstverachtung). Am besten ich gehe ihm aus den Augen (Ebene des Verhaltens) und mache mich unsichtbar. Dann lässt er mich vielleicht in Ruhe. ’ Und auf einer tiefen Ebene bestätigte sich durch solche Erfahrungen auch Franz‘ spirituelle Grundüberzeugung, in einem bedrohlichen Universum allein und ohne Unterstützung zu sein (Spirituelle Ebene).

Es ist nicht der Anblick des die Stirne runzelnden Chefs für sich allein, der ein mulmiges Gefühl in der Magengegend (körperliche Ebene) verursacht. Die Mimik des Chefs mag ein Auslöser unseres Erlebens sein, doch sind wir es selbst, die bewusst oder zumeist unbewußt der äußeren Situation eine subjektiv in unsere Erfahrungsmuster passende und darin stimmige Bedeutung verleihen. Betrachten wir diesen alltäglichen, sehr schnell und zumeist unterhalb unserer Wahrnehmungsschwelle sich vollziehenden Prozess noch etwas genauer. Wir beziehen das Stirnrunzeln auf uns selbst und nehmen es persönlich. Dies könnte nun einerseits zutreffend, andrerseits jedoch sehr wohl ein Missverständnis sein. Eventuell dachte der Chef gerade an den Motorschaden an seiner neuen Yacht oder die Drogensucht seines Sohns oder den gestrigen Streit mit seiner Frau oder einen geschäftlichen Misserfolg oder die drohende Kündigung seiner Kreditlinie durch seine Bank …. und so weiter und so fort. Es könnte vieles sein, was das Stirnrunzeln des Chefs ausgelöst hat. Es könnte mit Franz zu tun haben, muss es aber nicht. Seine unwillkürlich einrastende Annahme, dass er mit dem Stirnrunzeln gemeint ist, setzt jedoch eine zumeist unterschwellige innere Maschinerie in Gang, in der seine früheren Erfahrungen in Situationen mit ähnlichen Merkmalen aufgerufen und mit der aktuellen Situation verglichen und ineinsgesetzt werden. Es könnte beispielsweise sein, dass ein Stirnrunzeln des Vaters von Franz bedeutete, dass er gleich zu einer vernichtenden und sarkastischen Rede über dessen Blödheit ansetzen würde, dem das Kind Franz aus Angst vor dem Vater und mangelnder Unterstützung durch die anderen Familienmitglieder nichts entgegensetzen konnte. Gespeichert blieb ein dazu stimmiges Gefühlsgemisch aus Angst, Scham, Wut und Ohnmacht, gepaart mit einem geringen Selbstwertgefühl und Selbstablehnung, das auf der Verhaltensebene von einer Tendenz zur Vermeidung des Kontakts mit Autoritäten begleitet ist.

Diese ängstliche Vermeidungstendenz führt dazu, dass sich nichts zum Besseren ändern kann. In Form eines Teufelskreises verstärkt das Vermeidungsverhalten die innere Selbstverachtung, die das Selbstbewusstsein von Franz schwächt, was wiederum zu mehr Vermeidung herausfordernder Situationen führt. Vermeidung der ängstigenden Situation ist in der Regel der entscheidende Faktor, der für das Fortbestehen unserer Ängste sorgt. Ändern ließe sich dieses Muster in der Regel nur darüber, sich trotz eigener Ängste mutig in die herausfordernde Situation hinein zu begeben und allmählich zu lernen, sich darin zu bewähren. Die Eintrittskarte in den Engelskreis zunehmender Selbstachtung bestünde für Franz also gleichsam in dem Mut, in der Situation mit seinem Chef nicht zu fliehen, sondern ihn beispielsweise direkt zu fragen, was sein Stirnrunzeln bedeutet und ob es etwas mit ihm zu tun hat. Dieser Schritt der Realitätsprüfung, indem wir Fragen stellen, ermöglicht eine Neubewertung unserer alten aus unserer Vergangenheit herrührenden Lebensgewiss­heiten, die sich mit fortschreitender Selbsterkundung mehr und mehr als unsere damaligen bestmöglichen Antworten auf einen bestimmten Lebenskontext entpuppen und somit als Deutungsmuster für die aktuelle Situation zumindest fragwürdig werden können.

In der Psychotherapie ist es eine der Techniken, alte Gewissheiten des Patienten, die dazu beitragen, seine Symptome aufrechterhalten, in respektvoller Weise „befremdlich“ zu machen. Das was im Patienten als alte Gewissheit den ‚Vorteil’ der Vertrautheit und gewohnten Selbst und Weltsicht hat, soll als fragwürdig und befremdlich zugänglich gemacht werden, damit neues möglich werden kann.

Meinen Patienten erläutere ich die Wirkmacht der Vergangenheit in der Gegenwart meist so, dass ich mit meinen übereinander gehaltenen flach geöffneten Händen zwei Zeitebenen andeute, die sich überlagern. Die eine Raumzeitebene ist das Hier und Jetzt des subjektiven Erlebens: Franz spürt in der Situation mit dem Chef das mulmige Gefühl Hier und Jetzt. In dieses Erleben fließt jedoch eine andere Raumzeitebene ein, die aus dem Dann und Dort des Erlebens mit seinem Vater herrührt. Der Körper des Kindes, das Franz war, erwacht also im Hier und Jetzt des erwachsenen Körpers von Franz zu neuem Leben und bringt auch seine dann und dort als stimmig erlebten Gefühle, Deutungsmuster, Denkweisen und Selbstbilder in die aktuelle Situationsdeutung mit ein. Das macht unser Leben oft so kompliziert. Unsere Deutungsmuster über die Welt und die Menschen darin gleichen Wahrnehmungsfiltern, die unsere Sicht tendenziell immer ein wenig verzerren.

Unser Bewusstsein selbst ist ein Container, in den nur sehr wenig von all den Informationen gelangt, die wir offenbar unbewußt tatsächlich aufnehmen. Es gibt Schätzungen, nach denen wir in jeder gegebenen Sekunde mehr als 11 Millionen Informationseinheiten (bits) über unsere Körpersinne aufnehmen, jedoch davon nur etwa 16 bis maximal 50 bits pro Sekunde im Raum unseres bewussten Gewahrseins halten und verarbeiten. Unsere Sinnesorgane sind zudem als Lieferanten einer Aussage über die objektive Welt da draußen recht fragwürdig. Beim Sehen beispielsweise haben weniger als 20 Prozent aller am Sehen beteiligten Nerven tatsächlich Kontakt mit der Welt da draußen. Bei den restlichen gut 80 Prozent handelt es sich um spezifische Nervennetzwerke im Gehirn, die mit der Außenwelt unmittelbar gar nicht in Berührung kommen.

Unsere Weltsicht ist also zunächst und vor allem eine Konstruktion und Eigenschöpfung unseres Gehirns. Dass die Schöpfungen unserer Gehirne nicht nur völliger Unsinn sind, sondern uns in der Regel ganz nützlich dabei sind, uns in der Wirklichkeit zu orientieren und sinnvoll und effektiv handeln zu können, liegt natürlich darin begründet, dass im Laufe von Millionen Jahren evolutionärer Entwicklung jene synaptischen Verschaltungsmuster überdauert haben und weitergegeben wurden, die sich für unser Lebensmanagement als besonders nützlich erwiesen haben.

Sich selbst erforschen

Lassen wir uns die einzelnen Erfahrungsebenen noch genauer betrachten, die laut unserer Grundannahmen in die Bildung eines Symptoms eingehen.

Die Frage nach den „Elementen der Situation“ zielt auf zum einen all das ab, was wir in einem gegebenen Moment mit unseren Körpersinnen an äußeren ‚objektiven’ Situationsmerkmalen wahrnehmen können: Wo befinden wir uns? Was geschieht um uns herum? Was sehen, hören, riechen, schmecken, ertasten wir? Oft besonders wichtig ist die Frage danach, welche anderen Menschen beteiligt sind? Sind andere Menschen anwesend oder sind wir allein in der fraglichen Situation?

Zur Situationsbeschreibung gehört zum zweiten jedoch auch unsere Wahrnehmung unseres körperlich-energetischen Zustands, der das Erleben in einer Situation mitbestimmt: Wenn wir müde und erschöpft sind, erscheinen uns viele Probleme überwältigender und aussichtsloser, als sie es in Wirklichkeit sind. Sind wir in einem sehr vitalen und fitten Zustand, so fallen uns viele Dinge leichter. (Vgl. 15. Energie erhöhen). Wir sind dann oft in unserer Grundstimmung optimistischer und zuversichtlicher.

Die zweite Frageebene geht noch genauer auf unser körperliches Erleben ein. Was spüre ich in diesem Moment? Welche Empfindungen werden mir zugänglich und wie sind diese genau? Sind die Empfindungen heiß oder kalt, schwer oder leicht, starr oder in Bewegung, weich oder hart, gleichbleibend oder in dauernder Veränderung? Nehmen sie viel Raum ein oder sind sie auf einen kleinen Raum beschränkt? Wenn es ein Schmerz ist, ist das wie ein Druck, ein Ziehen, ein Pochen, ein Stechen, ein Brennen etc.? Und ist der Schmerz grell, scharf, dumpf, anschwellend, pulsierend etc.?

Während dieser Erforschung leuchtet unser Gewahrsein gleichsam die Symptomlandschaft aus und die Energie unserer interessierten Aufmerksamkeit macht die Topographie der Symptomlandschaft mehr und mehr spürbar. Einzelheiten der räumlichen Ausdehnung werden dem Erleben zugänglich, und immer mehr Details über die Verästelungen des Symptoms und seiner zugehörigen Verklammerungen in unseren Körpergeweben werden deutlich.

Bei dieser Erforschung können wir weitergehen zu den mit dem Symptom verbundenen Gefühlen. Was fühle ich genau, wenn ich mich gleichsam in meine Symptomlandschaft hineinbegebe? Am Ort meines Symptoms: Welche Gefühlsbewegungen spüre ich in mir? Ist es Ohnmacht, Hilflosigkeit, Verzweiflung? Ist es Angst? Ist es Zorn oder Wut und hinter der Wut vielleicht Verletztheit oder Trauer? Ist es Scham oder Schuld? Ekel oder Verachtung? Neid oder Eifersucht? Oder ist es Hass, Rachsucht, Gier? Ist es ein Gefühl der Kränkung? Oder ist es eher eingeklemmte Liebe, sexuelle Lust oder versteckte Leidenschaft? Versteckt sich gar eine unbekannte Freude darin?

Und bei der Erforschung der Gefühlsebenen am Ort des Symptoms können wir auch auf die Gedanken aufmerksam werden, die diese Gefühle begleiten. Welche Gedanken nähren unsere Gefühle? Ein Gedanke der Aussichtslosigkeit (‚Das schaffe ich nie, mich zu wehren’) könnte beispielsweise ein Gefühl der Ohnmacht stabilisieren. Ein misstrauischer und selbstunsicherer Gedanke (‚Meine Freundin will doch nur mit dem anderen Mann ins Bett. Den findet sie bestimmt besser als mich’) nährt ein Gefühl der Eifersucht. Ein bedrückender Gedanke (‚Dieser Schmerz hört wohl nie auf’) nährt ein Gefühl der Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit. Ein entwertender Gedanke (‚Männer sind alles Schweine’) stabilisiert und nährt Gefühle der Verachtung. Gedanken und Gefühle am Ort des Symptoms sind oft in einer sich gegenseitig verstärkenden destruktiven Symbiose miteinander verschweißt.

Und mit fortschreitender Erforschung werden verschiedene Schichten in der Geologie des Symptoms zugänglich: Ein verurteilender Gedanke (‚Sie ist eine Schlampe’) könnte oberflächlich mit einem Gefühl der Verachtung verbunden sein, unter dem sich Gefühle eines verbotenen und uneingestandenen Begehrens verbergen könnten. Aufrichtigkeit gegenüber sich selbst und Mut sind vonnöten, um in die tieferen Schichten der eigenen Symptomwelten vorzudringen und sich diese bewusst zu machen.
Mit dergleichen Gefühlen und Gedanken gehen oft Bewertungen einher. Was denke ich über mich oder andere? Was denke ich über mich, der ich diese Gefühle in mir habe oder diese Gedanken hege? Erschrecke ich vor der Intensität meines Hasses? Oder meines Begehrens? Verachte ich mich wegen meiner Angst? So dass ich Angst vor meiner Angst habe? Welche Meinung – und jedes der Urteile, die wir an dieser Stelle über uns fällen, ist nichts Anderes als eine in der Regel wenig respektvolle Meinung über uns selbst – habe ich über mich, weil ich so denke oder fühle, wie ich nun einmal denke oder fühle? Und wie tragen diese Gedanken zur Bildung, Aufrechterhaltung oder Intensivierung meiner Symptomatik bei? Noch einmal: Es erfordert Wahrhaftigkeit gegenüber sich selbst und eine gehörige Portion Mut, um bei der eigenen Selbsterforschung am Ort der Symptome voran zu kommen. Das sind die wichtigsten Schlüssel, die uns die Türen zu den tieferen Bedeutungsebenen unserer Symptome öffnen.

In einem weiteren Schritt schauen wir auf unser Verhalten in der Situation, in der wir das Symptom erleben. Was tun wir genau? Was tun wir nicht? Welche Handlungsmöglich­keiten haben wir? In der Gestalttherapie ist es ein klassisches therapeutisches Zielideal, in jeder gegebenen Situation drei gangbare Handlungsalternativen zu haben. Symptome entstünden häufig aus dem Mangel an verfügbaren Handlungsspielräumen. Und in der Tat ist die Erweiterung unserer Handlungsspielräume ein zentrales Mittel, um uns aus der Erstarrung und Blockiertheit am Symptomort zu lösen und die dort gebundenen Kräfte wieder in konstruktive Bewegung zu bringen. Nehmen wir ein Beispiel. Was tun wir, wenn uns jemand beleidigt? Uns beispielsweise einen ‚schwachsinnigen Vollhonk’ nennt? Schweigen wir, leiden innerlich und schlucken unsere Entgegnungen hinunter? Suchen wir innerlich nach einer passenden Reaktion? Beleidigen wir zurück? Werden wir gewalttätig? Warten wir auf einen passenden Zeitpunkt, um uns zu rächen? Treten wir voller stiller Wut den Rückzug an und lassen die Wut später an unseren Kindern aus? Oder an unseren Partnern? All das können mögliche Umgangsweisen sein, die zur Aufrechterhaltung unserer Symptome beitragen könnten. Oder können wir über die Beleidigung lachen? Schenken wir dem Beleidiger ein Bonbon für seine phantasievollen Wortschöpfungen ? Sehen wir seine Meinungsäußerungen eventuell gar nicht als Beleidigung an, sondern verstehen die Schmähworte eher als eine Art Selbstattacke des Beleidigers? Denn bekanntlich sagt das, was Hans über Otto sagt, mehr über Hans als über Otto aus. So dass er wir einiges über Hans und seine Selbstverurteilungen lernen könnten, wenn wir seinen unschönen Worten über Otto oder über uns aufmerksam zuhören würden. (Die Anregungen in diesem Absatz verdanke übrigens ich dem schon an anderer Stelle gewürdigten Diplom-Psychologen und Hypnotherapeuten Ortwin Meiss.) Die letztgenannten Handlungsmöglichkeiten sind einige Alternativen, die zeigen sollen, dass und wie wir eine vermeintliche Opfersituation durchaus kreativ gestalten können.

Wir bemühen uns also in diesem ersten Schritt, etwas mehr an Details über die Ökologie des akuten Symptoms, seine auslösenden Bedingungen und inneren Begleitdimensionen herauszufinden, um es so auf einigen wesentlichen Ebenen genauer zu erfassen.

Es ist dabei nützlich, diese Erforschung schriftlich vorzunehmen. Ein Fragebogen für die Erforschung einer einzelnen Situation, in der das Symptom auftrat, ist unten angegeben. Der geneigte Leser kann diesen ‚Fragebogen zur Erkundung des Symptoms“ gerne zu Hilfe nehmen, um sich einen ersten Überblick zu verschaffen.

Zusätzliches Material

Fragebogen zur Erkundung des Symptoms

Erlebnis-Dimension
Fragen
Meine Antworten
Elemente der Situation
Was genau löst das Unbehagen aus? Wie ist die Situation beschaffen? Wer ist beteiligt?
Energie-Ebene
In welchem Energiezustand habe ich mich kurz vorher bzw. währenddessen befunden?
Körperliche Ebene
Wie reagiert mein Körper? Welche Empfindungen nehme ich war?
Emotionale Ebene
Was fühle ich dann? Welche Gefühle werden mir bewusst?
Kognitive Ebene
Was denke ich dann? Was denke ich dann über mich? Über andere Menschen?
Ebene des Verhaltens
Was tue ich in diese Situation? Was tue ich nicht?
Eventuell: Spirituelle Ebene
Was bedeutet dieses Ereignis im Rahmen meines Glaubenssystems?