5. Zusammenhänge erkennen

„Ich verkünde Euch, dass ihr im Körper die Welt entdecken könnt und den Ursprung der Welt und das Ende der Welt und den Pfad zu allen Zielen.“ (Buddha)

Zusammenfassung der Kernaussagen dieses Artikels:

Das Feld zwischen Körper und Geist/Seele wird als großes beschrieben (siehe mein Aufsatz zur Psychosomatik). In Anlehnung an die klinischen Erfahrungen der Psychologin Elisabeth Reisch werden sieben verschiedene Entwicklungsstufen im Verstehen eines Symptoms charakterisiert. Am einen Pol ist der Gedanke, dass Körper und Geist/Seele als getrennt voneinander existieren, der für die meisten Menschen in unserer Zivilisation typisch ist. Der andere Pol zeichnet sich durch eine positive Wertschätzung des Symptoms aus, dessen Lösungsaspekt gesehen und dankbar gewürdigt wird. Ein Fragebogen zum Erkennen von Zusammenhängen wird kurz angedeutet.

Das Zitat von Buddha lässt erahnen, in welche Tiefen oder Höhen, je nach Sichtweise, wir in unserem beseelten Körper ab- oder aufsteigen können. Der neugierigen und offen erkundenden Selbstwahrnehmung öffnet sich ein unendlich groß anmutendes Feld, in dem es all das zu entdecken gibt, von dem der Erleuchtete hier spricht. Auch unsere Symptome können wir in diesem Feld betrachten. Doch bis dahin mag es für viele Menschen, die es gewohnt sind, in den gesellschaftlich immer noch vorherrschenden Gedankenmustern der Trennung zwischen Seele und Körper zu denken, ein weiter Weg sein.

In meinem Aufsatz zur Psychosomatik habe ich mir unter anderem Gedanken zu verschiedenen Betrachtungsweisen des Symptoms gemacht. Ich schildere darin zunächst das bei vielen Menschen, die an psychosomatischen Symptomen leiden, beobachtbare Phänomen, dass sie ihre Symptomatik als unabhängig von ihrem Selbstkonzept, ihren Einstellungen und Beziehungen, ihrer Arbeit, ihrem Verhalten, ihrer Lebensorientierung, ihren Erwartungen und Zielen betrachten. Das Symptom erscheint als ein nur Körperliches, gerade so, als habe es ansonsten nichts mit der Person selbst zu tun. Diese Sicht mag psychisch entlastend sein, weil sie uns von Verantwortung für uns selbst frei zu sprechen scheint. Andrerseits hat sie den gravierenden Nachteil, dass sie schlicht falsch ist und den Zugang zu möglichen Heilungsstrategien erheblich erschwert.

In meinem genannten Aufsatz gehe ich darauf ein, dass die gründliche Erforschung des Symptoms in all seinen Tiefen (und Höhen) zu einer immer differenzierteren Sicht der Dinge führt, die uns auch mehr und mehr eigene Gedanken- und Handlungsspielräume eröffnet. Diese Ausdifferenzierung geschieht parallel zu zunehmender Selbsterkenntnis und Reifung.

In meinem Aufsatz habe ich die Psychologische Psychotherapeutin und gelernte Gesprächspsychotherapeutin Elisabeth Reisch ausführlich zitiert, die einige interessante Gedanken zu möglichen Perspektiven zur eigenen Körpersymptomatik und Strategien ihrer Veränderung vorgelegt hat. Es geht um die Frage, wie sich die betroffene Person selbst das Erscheinen eines (körperlichen) Symptoms erklärt? Reisch (1994) hat sieben verschiedene Stufen der Sichtweise auf das eigene Symptom unterschieden:

Stufe 1: Der Klient sagt nichts über seine Symptomatik. Er spricht ausschließlich über Tatbestände, die unabhängig von seiner Person sind. Beispiel: Auf meiner Arbeit und auch zu Hause geht alles ganz normal zu. Der Arzt hat mich halt jetzt zur Kur geschickt.

Stufe 2: Der Klient berichtet von seiner Symptomatik als von etwas, das unabhängig von seiner Person ist. Er nimmt keine Beziehung dazu auf. Beispiel: Die Kopfschmerzen kommen manchmal wie vom Himmel geflogen. Oder: Meine Beschwerden sind wahrscheinlich wetterabhängig.

Stufe 3: Der Klient steht der Tatsache ambivalent gegenüber, daß es allgemeine, globale Zusammenhänge zwischen sich und seiner Symptomatik geben könnte. Beispiel: Es könnte schon sein, daß ich manchmal mehr Kopfschmerzen habe, wenn ich gestreßt bin. Aber so sicher bin ich mir da nicht.

Stufe 4: Der Patient erkennt, daß es allgemeine, globale Zusammenhänge zwischen sich und seiner Symptomatik gibt. Beispiel: Wenn ich Ärger habe, schlägt sich das auf den Magen. Streß verschlimmert meine Kopfschmerzen.

Stufe 5: Der Klient erkennt neben den allgemeinen Zusammenhängen immer mehr die konkreten und spezifischen Zusammenhänge zwischen sich und seiner Symptomatik. Er nimmt eine Beziehung zu seinem Symptom insofern auf, als er es als einen Teil von sich selbst wahrnimmt. Beispiel: Heute morgen beim Frühstücken war so ein leichter Druck in meinem Magen, ich glaube, ich hatte Angst, mich falsch zu benehmen.

Stufe 6: Die Beziehung des Klienten zu seiner Symptomatik wird immer differenzierter. Der Klient nimmt eine Beziehung zu seiner Symptomatik insofern auf, als er sie immer mehr als Symbol für sein inneres Erleben ansieht. Statt gegen die Symptomatik anzukämpfen, wird der Versuch deutlich, die jeweilige Botschaft wahrzunehmen und zu verstehen. Beispiel: Da ist immer so eine innere Stimme in mir, die mich begleitet. Wenn ich von meinem Denken her nicht merke, wie es mir geht, so höre ich einfach darauf, was mein Körper mir mitteilt.

Stufe 7: Der Patient beginnt, den Ausdruckscharakter seiner Symptomatik nicht nur zu verstehen, sondern darüber hinaus auch noch positiv wertzuschätzen. Beispiel: Von meinem Verstand würde ich oft gar nicht merken, wie es mir geht. Es ist ein ganz eigenartiges und schönes Gefühl sich darauf verlassen zu können, daß es da noch einen Teil in mir gibt, der auf mich aufpaßt. Meine Kopfschmerzen sagen mir zum Beispiel ganz eindeutig, wann ich mich von anderen distanzieren muß. Ich bin richtig dankbar dafür, daß ich mich auf meinen Körper und seine Botschaften immer verlassen kann, und daß sie mir weiterhelfen.
(Aus: Reisch 1994, S. 104f)

Wenn Sie nun an ihr Symptom denken, können Sie sich diese Fragen vorlegen: Auf welcher Stufe sehen Sie sich selbst? Welche Zusammenhänge können Sie erkennen?

Es ist mir wichtig, folgendes zu betonen: In dieser gerafften Darstellung der Entwicklungsstufen droht verloren zu gehen, wie weit der persönliche Weg ist, der beispielsweise zwischen einem Standpunkt auf der Stufe 2 – die charakterisiert ist durch eine schulmedizinische Sicht der Dinge – und der positiven Wertschätzung des Symptoms auf Stufe 7 liegt. Gravierende und langfristige Schritte und wesentliche psychische wie körperliche Veränderungen sind dazu nötig. Zwischen der Sicht, die beispielsweise Krebs als Ausdruck eines zu vernichtenden inneren Feindes in Form eines bösartigen Zellmonsters betrachtet und der Perspektive des auf diesen Seiten bereits hier gewürdigten Psychoonkologen Carl Simonton, dass Krebs eine Botschaft der Liebe sei, die dazu diene, den Menschen an das Wesentliche in seinem Leben zu erinnern, liegen in der Tat Welten.
Der hier abgebildete Fragebogen, auf den im Mosaikstein 6 ausführlich eingegangen wird, ist für das Erkennen von Zusammenhängen hilfreich.

Literaturempfehlungen:

  • Reisch, Elisabeth (1994): Verletzbare Nähe, München: Pfeiffer