12. Kleine Schritte
„Die Erfolgschancen in allen Dingen liegen bei 100 Prozent.“
Zusammenfassung der Kernaussagen dieses Artikels:
Sie können etwas tun, um Ihre Lage zu verbessern. Alles was Ihre Lebensumstände verbessert dient auch Ihrer Gesundheit. Zwei Fragen zur Selbsterforschung sind angefügt. Kleine Schritte sind oft das Beste, was wir tun können, wenn wir gewillt sind, Veränderungen zum Guten anzustreben. Ein schönes Gedicht von Portia Nelson dient als Landkarte der Wanderung auf dem Weg unserer alten Gewohnheiten und auf den besseren Wegen, zu denen wir irgendwann finden werden. Der Krebsspezialist Gerd Nagel hat das Schlusswort.
Wie auch immer Ihre Lebenssituation gerade aussieht, sie können etwas dafür tun, dass sie besser wird. Doch falls Sie jetzt schon rundum zufrieden sind, gratuliere ich Ihnen und versichere Sie meiner Hochachtung! Sie brauchen dann wirklich nicht weiter zu lesen.
Falls Sie aber doch etwas ändern wollen, dann wäre diese Frage vielleicht etwas für Sie, die ich einmal so ähnlich in einem Buch gefunden habe und über die ich selbst lange nachgedacht habe:
Welche eine Sache, regelmäßig betrieben, würde Ihr Leben nachhaltig verbessern?
Was Sie wählen, ist egal. Gut wäre allerdings, es würde zwei Bedingungen erfüllen: 1. Es führt regelmäßig und zuverlässig zu einer konkreten Verbesserung ihrer inneren oder äußeren Lebensbedingungen. 2. Es macht Ihnen Spaß oder vermittelt ihnen anderweitig ein gutes Gefühl. Denn nur solche Dinge behalten wir auf Dauer bei.
Schön fand ich auch die Anregung eines Therapeuten, der seinen festgefahrenen Patienten einfach diese kleine Hausaufgabe für die nächste Woche mitgab:
Bei all dem, was Sie nächste Woche tun werden, machen Sie eine Sache (minimal) anders!
Einer meiner ersten Therapielehrer war Paul Boyesen, der einzige Sohn von Gerda Boyesen, der Begründerin der Biodynamik. Er sprach sich stets sehr für kleine Veränderungsschritte aus und illustrierte ihre Macht anhand des Bilds zweier parallelen Geraden. Bringt man an einer Stelle eine kleine Veränderung in der Richtung einer der beiden Geraden ein, dann bewegen sich beide Linien voneinander weg und im Laufe der Zeit ist die Distanz zwischen beiden recht groß. Kleine Veränderungen führen über die Zeit zur Erfahrung einer beträchtlich anderen Wirklichkeit! Und sie schützen uns vor Krisen und Zusammenbrüchen, in die wir geraten könnten, wenn wir zu viel auf einmal wollen und uns mit zu großen Veränderungsschritten überfordern.
Sie können natürlich auch an Ihren alten Gewohnheiten festhalten, die wie wir alle wissen, ganz schön hartnäckig sein können. Doch bedenken Sie: Unangemessene und oft unbewußte Überzeugungen fließen in unsere Handlungsmuster und Gewohnheiten ein und sorgen dafür, dass wir uns immer wieder in derselben negativen Situation wiederfinden, die wir eigentlich nie wieder erleben wollten.
Der tibetische Meditationslehrer Sogyal Rinpoche zitierte einmal ein schon älteres Gedicht der amerikanischen Sängerin und Autorin Portia Nelson (1920-2001), das ich hier auch wiedergeben möchte, weil es den letzten Punkt in schönster Weise illustriert:
„Autobiographie in fünf Kapiteln
1.
Ich gehe die Straße entlang.
Da ist ein tiefes Loch im Gehsteig. Ich falle hinein.
Ich bin verloren … Ich bin ohne Hoffnung.
Es ist nicht meine Schuld.
Es dauert endlos, wieder herauszukommen.
2.
Ich gehe dieselbe Straße entlang.
Da ist ein tiefes Loch im Gehsteig.
Ich tue so als sähe ich es nicht.
Ich falle wieder hinein.
Ich kann nicht glauben, schon wieder am gleichen Ort zu sein.
Aber es ist nicht meine Schuld.
Immer noch dauert es sehr lange, herauszukommen.
3.
Ich gehe dieselbe Straße entlang.
Da ist ein tiefes Loch im Gehsteig.
Ich sehe es.
Ich falle immer noch hinein … aus Gewohnheit.
Meine Augen sind offen.
Ich weiß, wo ich bin.
Es ist meine eigene Schuld.
Ich komme sofort heraus.
4.
Ich gehe dieselbe Straße entlang.
Da ist ein tiefes Loch im Gehsteig.
Ich gehe darum herum.
5.
Ich gehe eine andere Straße.“
(Portia Nelson)
Ich mag dieses Gedicht. Es verdeutlicht mit einfachsten sprachlichen Mitteln, wie wir immer wieder in dieselbe Falle gehen können, aber eben auch, wie uns unser Erkennen und das Annehmen eigener Verantwortung helfen können, uns daraus zu lösen.
Eine Anmerkung ist unbedingt wichtig, weil es bei diesen Seiten ja auch um Erkrankungen geht: Im Hinblick auf Krankheiten, deren Hintergründe sehr oft im Verborgenen liegen und an denen in der Regel unüberschaubar viele Wirkfaktoren mitgebastelt haben, macht das Wort „Schuld“ einfach keinen Sinn. Schuldig werden setzt eine gewisse Macht voraus. Im Gegenteil scheinen mir jedoch Menschen am tiefsten seelischen Punkt, der ihrer Erkrankung zugrunde liegt, in geradezu herzzerreißender Weise unschuldig und auch ohnmächtig zu sein.
Andrerseits haben wir – wie es das neue ganzheitliche Denken der Mind-Body-Medizin nahelegt – offenkundig Verantwortung dafür, welche neue Straße wir gehen wollen. Es geht nicht darum, sich sinnlos selbst dafür zu geißeln, in ein bestimmtes Loch gefallen zu sein, wohl aber tut man seiner eigenen Gesundung einen Gefallen, wenn man sich dafür entscheidet, selbst mit zu bestimmen, wohin und auf welcher Straße man gehen mag.
Nur Sie allein wissen letztlich, was für Sie am besten ist. Ärzte und Therapeuten und Heilpraktiker und alle anderen Helfer, Coaches und Seelsorger sind Ihre hoffentlich mit Expertenwissen, Mitgefühl und Herz ausgestatteten Berater. Erlauben Sie jedoch nicht, dass sie über ihr Leben bestimmen!
Was auch immer Sie zum Guten hin ändern, Sie können das innerlich unterstützen, indem Sie sich die schöne Affirmation zunutze machen, die der Krebsspezialist Prof. Dr. med. Gerd Nagel (einstmals Präsident der Deutschen Krebsgesellschaft, Vorsitzender des Deutschen Krebsforschungszentrums in Heidelberg und Direktor der Klinik für Tumorbiologie in Universität Freiburg im Breisgau; Begründer einer Stiftung für Patientenkompetenz 2003) seinen Patienten nahelegt:
„Ich bin unterwegs in Richtung Heilung!“
Literaturempfehlungen:
- Nagel, Gerd, Nagel, Delia, Bopp, Annette (2007): Krebs – was man für sich selber tun kann. Freiburg im Breisgau: Herder
- Sogyal Rinpoche (2001): Das tibetische Buch vom Leben und vom Sterben, München: O.W. Barth, S. 50f
- Schuhl, Teresa (2014): Wüstenmädchen. Die Heilkunst der starken Frauen, Norderstedt: Books on Demand